Die NS-Propaganda bezeichnete progressive Künstler
als »entartet«, ihre Werke wurden als mit »undeutschem Geist«
stigmatisiert; heute werden mit der Bezeichnung ›diffamierte‹ oder ›diskreditierte« Künstler
die Verbrechen der Nazis gerne in abgehobener Sprache bagatellisiert oder auch
euphemistisch als »verlorene Generation« verharmlost.
Die unter den Nationalsozialisten verfolgten, entehrten und oft
ermordeten (hauptsächlich jüdischen) Autoren, die in den Heften des
Poesiealbums eine Würdigung ihres Werkes – und damit ihres Lebens und
Wirkens – erfahren, sind (mit fast 16 %) eine stark vertretene Gruppe. Die aktuell im gleichen Atemzug von gewissen Polit- und Medienkreisen propagierte These von der »nur verordneten antifaschistischen« oder sogar antisemitischen DDR-Gesellschaft ist zumindest für das Poesiealbum ad absurdum zu führen.
Hier wurde durch die Verantwortlichen bewußt eine
Aufarbeitung der faschistischen Unmenschlichkeit – die auch oder besonders
die Vernichtung der intellektuellen Eliten des Judentums und des
kommunistischen wie christlichen Widerstandes zum Ziel hatte – betrieben.
Dies zudem ganz im Gegensatz zu dem in der Nachkriegszeit in Westdeutschland
wirkenden Totschweigens der verfemten und ›verbrannten Dichter‹ – Dichter,
denen schon einmal nach Leben und Werk getrachtet worden war.
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Sowas hätt' einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch
Daß keiner uns zu früh da triumphiert –
Der Schoß ist fruchtbar noch,
aus dem das kroch.
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Und die da reden von Vergessen
Und die da reden von Verzeihn –
All denen schlage man die Fressen
mit Eisenhämmern ein.
Bertolt Brecht
»Mit der in der Bundesrepublik weit verbreiteten These der
Wesensgleichheit von Kommunismus und Naziherrschaft frönen die Anhänger
dieses Irrtums einer fragwürdigen Traditionslinie, die sich noch stets mit
enormer Durchschlagskraft die Freiheit nahm, die Linke freihändig des
Antisemitismus zu zeihen.« [1]
Auch die Nationalsozialisten frönten schon dem Irrtum zur Wesensgleichheit von
Kommunismus mit der christlichen und jüdischen Religion – immer
wieder auftretende
systemübergreifende Wahnvorstellungen undemokratischer Strukturen.
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In gleicher Manier schreibt der westdeutsche
Journalist Imre Grimm vom RND in seinem Artikel zum 75. Jahrestag der
Befreiung des KZ Auschwitz [3] unverdrossen: »Historiker sind sich weitgehend
einig, dass es eine echte Aufarbeitung der NS-Vergangenheit in der
DDR-Nachkriegszeit nicht gegeben hat.«
Bernd Jentzsch, Mitbegründer, Lektor und Herausgeber der Reihe
über ein Jahrzehnt, beschrieb seine antifaschistische Grundhaltung mit der er die
Reihenkultur des Poesiealbums prägte, bei einem Gespräch mit André Hille auf poetenladen.de: »Ein Grundmotiv in unserer Familie war, so wie in der ganzen DDR, der Antifaschismus. Da die Eltern und die beiden Großväter sehr starke Repressalien in der Nazizeit auszuhalten hatten, ist klar, daß das in der Familie Echos hinterließ. Meine Mutter hat immer gesagt: Nie wieder Faschismus. Das klingt wie eine leere Formel, ist aber genauso gemeint
[gewesen]. Und das war auch mein Grundmotiv.«
Daß auch die nachfolgenden Herausgeber
der Reihe diese Haltung ohne Abstriche
weitergeführt haben, belegt die Immanenz dieser Gesinnung in der geschichtsbewußten Bevölkerung
der DDR.
Fortgesetzt wird die Ehrung dieser so »ausgezeichneten« Lyriker auch mit den
Heften des Märkischen Verlags als Reihenschwerpunkt
zum Jahresende, gekennzeichnet mit einem eigenen Signet auf dem Rückumschlag: ›Verfemte Dichter – verbrannte Bücher‹. |